Es
war einmal vor vielen vielen Jahren. Ein Bauer hatte gerade sein Feld
abgeerntet und all seinen Weizen in die Scheune gebracht. Doch ein Weizenkorn
war auf dem Feld liegen geblieben. Es wartete auf den Regen und die wärmende
Sonne des Frühlings.
Da
geschah es eines Tages, dass eine kleine Ameise das Weizenkorn fand. „Oh, ein
Weizenkorn, das ist gut. Das wird uns im Winter ernähren. Hau ruck, das schaffe
ich…“ mit ermutigenden Worte hebt die kleine Ameise das Weizenkorn auf ihren
Rücken. „Was machst du denn da? Aua, das tut weh, sei doch bitte vorsichtig!“,
fragt das Weizenkorn. Die kleine Ameise antwortet: „Ich bringe dich zu meinem
Ameisenhaufen.“ Und mit diesen Worten macht sie sich auf den mühsamen Heimweg.
„Kannst du mich denn soweit tragen? Ich bin doch viel schwerer als du.“, versucht
das Weizenkorn wieder, mit der Ameise zu sprechen. Da lacht die kleine Ameise,
„Weißt du denn nicht, dass ich das 40fache meines eigenen Gewichtes tragen
kann? Da schaffe ich dich doch mit Leichtigkeit.“
So
laufen sie eine ganze Weile. Der Weg zum Ameisenhaufen ist weit und die Sonne
lacht warm vom Himmel herab. Der Weg wird für die kleine Ameise doch ganz schön
lang. Da hebt sie plötzlich das Weizenkorn von ihrem Rücken und sie setzen sich
in den Schatten. „Weißt du“, fängt die kleine Ameise an zu erzählen, „weißt du,
wir Ameisen müssen doch auch für den Winter und unsere Kinder sorgen. Und so
sammeln wir das auf, was die Menschen liegen lassen, sammeln tote Insekten und
bringen alles in unseren Ameisenstaat. Und so werde auch ich dich dorthin bringen,
damit meine große Familie satt wird.“ Das Weizenkorn baumelt mit seinen Füßen
und denkt nach. Dann antwortet es: „Weißt du, kleine Ameise, ich bin nicht nur
zum essen da. Die Menschen sammeln sich zwar ein, mahlen mich zu Mehl und
backen dann Brot daraus, aber ich bin doch viel mehr.“ - „Ich bin ein Samen.“,
sagt das Weizenkorn stolz, „Ich bin voller Lebenskraft und ich bin dazu
geschaffen, dass aus mir eine neue Pflanze wachsen kann.“
Die
kleine Ameise steht nachdenklich auf, nimmt das Weizenkorn wieder auf seinen
Rücken und geht langsam weiter. Da macht das Weizenkorn ihm einen Vorschlag.
„Hör mal, kleine Ameise, wenn du mich jetzt hier zurücklässt, dann will ich dir
ein Versprechen geben.“ Die kleine Ameise bleibt stehen, setzt das Weizenkorn
wieder ab und schaut es neugierig an. „Wir machen einen Vertrag. Wenn du mich
hier auf diesem Feld zurücklässt, dann verspreche ich dir, dass du im nächsten
Jahr hier hundert Weizenkörner finden wirst.“ Die kleine Ameise schaut ihn
ungläubig an. „Wirklich? Das kannst du?“ – „Glaub es mir ruhig.“, antwortet das
Weizenkorn. „Wenn du mich heute hier zurücklässt, dann vergelte ich es dir
hundertfach im nächsten Jahr. Ich werde dir hundert Weizenkörner für deinen
Ameisenhaufen schenken.“ Die kleine Ameise denkt lange nach: Hm, ich lasse ein
Weizenkorn zurück und bekomme im nächsten Jahr einhundert dafür geschenkt. Eins
im Tausch gegen einhundert. – Das kann doch nur ein Wunder sein. „Wie willst du
das denn machen?“, fragt sie das Weizenkorn neugierig. „Das ist ein Geheimnis.“,
sagt das Korn. „Es ist das Geheimnis des Lebens. Probier‘ es aus. Du musst nur
hier auf dem Feld eine kleine Grube ausheben, da legst du mich hinein, deckst
mich mit Erde zu und in einem Jahr kommst du dann hierher zurück.“
Das
macht die kleine Ameise. Sie gräbt mit ihren kleinen Beinen eine Grube, legt
das Weizenkorn hinein und bedeckt es mit Erde. Dann geht sie nach Hause und
wartet. Sie wartet den ganzen Herbst und Winter. Der Frühling kommt und geht
vorbei. Dann wird es Sommer, die Sonne strahlt vom Himmel herab. Da macht sich
die kleine Ameise auf den Weg zu der Stelle, an der sie das Weizenkorn begraben
hatte und siehe da. An der Stelle stehen nun viele Ähren und hundert
Weizenkörner wehen im Wind und warten darauf, von der kleinen Ameise in ihr zu
Hause gebracht zu werden.
Das
Weizenkorn hat sein Versprechen gehalten.
(nach einer Fabel von Leonardo da Vinci)
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